Kunst

Das Gnadenbild der seligsten Jungfrau Maria


Restauriertes Bild der gnadenreichen Mutter und seligsten Jungfrau Maria aus dem Bernardiner Konvent. Anfang 17. Jahrhundert.

Der Subguardian des Bernardinerkonventes, Aleksas Maceina, schrieb am 25. August 1670 über das damals bekannteste Marienbild in Kaunas: "Ich selbst, unwerter Diener der Gottesmutter, mit allem meinem Gram und Leid, meinen Sorgen um Leib und Seele und mit all meiner Bedürftigkeit, habe in ganz besonderem Mass Erbarmen und Gnade erfahren (...) als ich mich der reinsten und getreuesten Jungfrau Maria in diesem Bild aufopferte."

Das Bild der Gottesmutter, welches lange verschollen blieb, nachdem die Sowjetregierung 1950 die St. Georgskirche geschlossen hatte, kehrte erst 2001 auf den Altar zurück – diesmal in die erzbischöfliche Kathedrale. Um die rätselhafte Geschichte dieses Bildes zu erhellen, muss zuerst geklärt werden, wann, wo und wie das Werk wiedergefunden und später identifiziert wurde.

Die Geschichte kann kurz so zusammengefasst werden: Im Jahr 1978 fand Kanonikus Algimantas Kajackas das Bild. Er hatte es zu suchen begonnen, als er sich um die Kunstwerke der 1978 zurückerhaltenen Kirche der heiligsten Dreifaltigkeit kümmerte. Dabei erfuhr er, dass 1962, als auch diese Kirche geschlossen wurde, viele ihrer Kunstwerke in die Kirche des hl. Antonius von Padua verbracht worden waren, und er fing an, überall zu suchen und zu sichten. Aber er konnte nur die Statue des hl. Franziskus von Assisi vom Hochaltar wiederfinden und eine verblichene Leinwand mit einem unbekannten Marienbild, die ohne Rahmen auf dem Boden des Kellers lag. Nachdem es eingerahmt und hergerichtet worden war, hing dieses Bild mehr als ein Jahrzehnt im Zimmer des Geistlichen im Priesterseminar von Kaunas. 1992 – 93, als der Innenraum und die Ausstattung der St. Georgskirche begutachtet wurden, vertiefte ich mich "bis über die Ohren" ins Studium des Bernardiner Konventsarchivs. Besonders das berühmte Gnadenbild der seligsten Jungfrau Maria aus der Konventskirche habe ich fieberhaft gesucht. Ich war überzeugt, dass ein solches Bild nicht verschwunden sein könnte. Kanonikus Kajackas, gefragt, ob nicht im Seminar irgendein altertümliches, ungewöhnliches und nicht näher bekanntes Marienbild hänge, zeigte das 1978 wiedergefundene Bild. Als ich es sah, verstand ich sofort: endlich ist es gefunden! Aber erst nach langem und beharrlichem Studium von Quellen in der Literatur, der Ikonografie und am Objekt selbst konnte es identifiziert und schliesslich seine Echtheit bestätigt werden.

Die Geschichte des Bildes der seligsten Jungfrau Maria erschliesst sich uns aus handschriftlichen Quellen. Es wird erwähnt im Archiv des Bernardinerkonvents (erstmals 1669) und vom Anfang des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Visitationsakten und Inventarverzeichnissen der St. Georgskirche (letztmals 1939). Die erste Nachricht mit Bezug auf dieses Bild gibt 1670 der schon erwähnte Aleksas Maceina: „Dieses Bild der seligsten Gottesmutter ist gemalt nach dem Beispiel des Gnadenbildes von Tschenstochau. Wer es gemalt und wer es unserer Kirche geschenkt hat und wie lange es uns schon gehört, das ist nicht einmal von den ältesten Leuten zu erfahren. Vor dem Krieg mit Moskau hatte das Bild eine besondere Kapelle in der Mitte der gemauerten Kirchenwand – auf der linken Seite, wenn man vom Burggraben her in die Kirche kommt.“ Die Kapelle befand sich also, wie erwähnt, in der Mitte der Nordwand, sie kann dort errichtet worden sein am Ende des 16. Jahrhunderts.

Vor der russischen Invasion von 1655 brachte der Gönner des Bernardinerkonvents Jeronimus Krišpinas Kiršenšteinas das Bild der seligsten Gottesmutter und andere ganz wertvolle Dinge in ein Versteck in der Burg Raudonė. 1669, gleich nach dem dritten Brand, begann man mit der Renovation der Kapelle der seligsten Jungfrau Maria, wofür der Landwirtschaftsrichter Oborskis die Mittel stiftete; so blieb die Kapelle an der früheren Stelle. Nach Vollendung der Erneuerungsarbeiten, etwa 1679, kehrte des Bild auf den Altar zurück. Aber Mitte des 18. Jahrhunderts wurde an der Stelle der Kapelle der heutige Kircheneingang errichtet. Höchstwahrscheinlich wurde damals das Bild der seligsten Gottesmutter von der früheren Kapelle auf den Hochaltar versetzt. Dass es dort war, wird nicht nur in der Visitationsakte der Bernardinerkirche von 1804 erwähnt, sondern auch in allen späteren Verzeichnissen, endend mit dem Inventar von 1861.

Am Ende des 19. Jahrhunderts wird das Marienbild vom Hochalter auf den bescheideneren St. Anna-Altar versetzt und dort aufgehängt im oberen Bildfeld. Weil es dort wegen seines Formates nicht ganz hineinpasste, wurde es etwas verkleinert, also ein Stück Leinwand abgeschnitten. Das Besitzverzeichnis von 1939 des interdiözesanen Priesterseminars von Kaunas bezeugt, dass das betreffende, „in Metall gefasste Bild“ sich auf dem St. Anna-Altar im oberen Bildfeld befindet. Aber es bleibt rätselhaft, wann und wie des Bild in den Keller der Kirche des Hl. Antonius von Padua gelangte.

Als das Gemälde von allen Seiten begutachtet und restauriert war, zeigte sich ein fast authentisches Erscheinungsbild: klare, in subtilen Ocker-Halbtönen gemalte Gesichtszüge der seligsten Gottesmutter und des Jesuskindes, mit Edelsteinen und Perlen geschmückte Kronen, goldglänzende Heiligenscheine um die Häupter. Das Bild gehört zum frühesten Typ byzantinischer Hodegetria-Ikonografie. Maria ist stehend abgebildet, der linke Arm hält Jesus, der mit der rechten Hand segnet und in der linken das Evangelienbuch hält. Es ist eine kanonische Variante hodegetriner Komposition.

Das Bild zeichnet Maria aus durch reichen Juwelenschmuck. Vor allem erstaunen die vielen Perlen, die auch Teile der Bekleidung schmücken. Aber das ist kein Zufall. Die Perlen haben zwar eine dekorative Funktion, aber wichtiger ist ihre übertragene Bedeutung. In der christlichen Kunst versinnbildlicht die von der Muschel umschlossene Perle die Menschwerdung (die Geburt des Wortes aus der Jungfrau Maria) und die Erlösung (Mt 13, 45-46).

Im Archiv des Bernardinerkonvents von Kaunas ist auch eine Handschrift des Bernardiners A. Maceina aus dem Jahr 1670 erhalten – der sorgfältig verfasste „Wahrhaftige und aufrichtige Bericht bedeutender Persönlichkeiten über das Gnadenbild der seligsten Jungfrau in unserer Kirche“. Am Anfang überliefert er bildkräftig das frühere Ereignis von 1655: „Als Moskau angriff, wurde das Bild überführt nach Raudonė, auf das Gut des erlauchten Herrn Jeronimus Krišpinas Kiršenšteinas, damals Schatzmeister des Grossherzogtums Litauen. Zur Gebetszeit in dieser Kapelle, gerade zur Stunde als die Moskauer Vilnius eroberten, sahen seine Erlaucht und deren Sohn und andere Anwesende genau die Weinende auf dem Bild. Seine Erlaucht selbst hat das in aufrichtigen Worten bezeugt vor vielen ehrenwerten Leuten und vor mir unwürdigem Priester, als ich bei ihm in Raudonė war. Im Jahr des Herrn 1670 am 25. August.“

Der zitierte Text zeigt, dass den Menschen jener Zeit das Marienbild besonders kostbar war. Vor der russischen Invasion von 1655 hatte J. K. Kiršenšteinas, wie erwähnt, das Bild und andere Wertsachen aus dem Kloster in ein Versteck auf dem Gut Raudonė gebracht. Im ausführlichen Verzeichnis von 1670 der überführten Sachen werden die silbernen Einfassungen der Gestalten von Gottesmutter und Jesuskind erwähnt und ebenfalls zwei Kronen und 23 kleine silberne Votivtafeln. Diese Fakten, d.h. die silbernen Einfassungen, welche die Heiligkeit des Bildes schützten und seine Gnadenkraft bezeugten, wie auch die Votivtäfelchen (als Zeichen der Frömmigkeit) zeigen, dass schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Bild der seligsten Gottesmutter besonders verehrt wurde, umsomehr als es auch eine eigene Kapelle hatte.

Der erwähnte Subguardian Maceina nennt seine 1669 begonnenen Aufzeichnungen wunderbarer Geschehnisse „Sequuntur Miracula“. Die in feiner Handschrift auf neun Seiten sorgfältig beschriebenen Wunder ereigneten sich bis 1676 (der letzte Eintrag datiert von 1706). Meistens handelt es sich um ungewöhnliche Heilungen. Zum Beispiel dankte 1670 die Dame Agnietė Simanavičienė mit einer silbernen Votivtafel, nachdem sie sich „der seligsten Jungfrau in diesem Bild anempfohlen hatte“ und gesundet war. Um 1670, als er vor Weihnachten durch sein Gebet erlöst wurde von unerträglichen Zahnschmerzen, bedankte sich auch Herr Mykolas Rudzianskis mit einer silbernen Votivtafel. Die Dame Magdalena, die „bis zum Wahnsinn“ unter Kopfweh litt, kam 1671 und „weinte vor dem Gnadenbild und hat seither keine Kopfschmerzen mehr. Sie hat zum Dank einen kleinen Kopf aus Silber gestiftet.“ Die Auszüge aus den Wunderberichten bezeugen den tiefen Glauben der Menschen jener Zeit und die Tradition, zum Dank für Erhörung Votivtafeln zu stiften.

Der Kult und die Wunderkraft des Gnadenbildes der allerseligsten Gottesmutter, das während 350 Jahren seinen Platz hatte in der Bernardinerkirche von Kaunas, bezeugen deutlich die tiefe, fromme Verehrung der seligsten Jungfrau in diesem Bild und die vielfältigen Ausdrucksformen dieser Frömmigkeit besonders in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert. In Litauen ist es das byzantinischste aller Bilder von Gottesmutter und Kind.

Das Portrait des hl. Franziskus von Assisi


Jonas Bielinskis. Portrait des hl. Franziskus von Assisi. 1705.

Was sind wir denn anderes, mindere Brüder, als die Lobsänger und Spassmacher Gottes?
Hl. Franziskus von Assisi

Das Bild des hl. Franziskus von Assisi (1181 – 1226) schmückte seit dem frühen 18. Jahrhundert eine als Illusionsmalerei ausgeführte Altar-Retabel am Ende der Wand des südlichen Seitenschiffs. In Litauen war es eine der frühesten Schöpfungen dieser Art; sie wurde später, Mitte desselben Jahrhunderts, verändert. Leider sind jetzt von beiden „optischen“ Retabeln (so werden sie in Quellen genannt) nur undeutliche Fragmente erhalten. Das Bild verlor am Ende des 19. Jahrhunderts seinen Altar, der in jener Zeit als modern gegolten hatte: an dieser Wand wurde von der Sakristei zur Kirche eine neogotische Tür errichtet und die gemalte Retabel wurde nicht nur schwer beschädigt, sondern auch übermalt. Darum wurde dem Bild des hl. Franziskus von Assisi ein neuer Platz gegeben auf dem Altar bei der ersten Säule; dort hing es bis 1950, später „verlor“ es sich ins Unbekannte. Seit 1971 hängt es im Priesterseminar von Kaunas (und gehört heute dem Museum der Erzdiözese Kaunas).

Der hl. Franziskus wurde seit dem vierten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts abgebildet in stehender Haltung und voller Grösse, mit dem Kreuz in der linken und einem Buch in der rechten Hand, mit den Stigmata an Händen und Füssen, mit Tonsur und Heiligenschein ums Haupt, der lange Habit gegürtet mit dem Strick, barfuss, mit Bart und Schnauzbart. Die Künstler – angefangen mit Cimabue, Giotto und Simone Martini und bis in unsere Tage – verehrten auf ihre Art die mystische Liebe des hl. Franziskus zum Leiden des gekreuzigten Christus. Zu dieser langen Reihe von Künstlern gehört auch der Maler Jonas Bielinskis, der anfangs des 18. Jahrhundert für den Konvent von Kaunas das Altarbild des hl. Franziskus schuf.

Das von uns beschriebene Bild des stehenden Franziskus hatte seinen Platz in einer halbrunden Nische. Das Gemälde steht in der langen Tradition solcher Heiligendarstellungen, besonders in der Skulptur (zum Beispiel Lorenzo Berninis Statue der hl. Bibiana in Rom von 1626). Der Heilige ist gemalt in der oben beschriebenen ikonografischen Manier, aber es gibt Nuancen: der Habit ist braun, am Strick (seine drei Knoten symbolisieren die drei Ordensgelübde – Armut, Keuschheit und Gehorsam) hängt der Rosenkranz. Alle Aufmerksamkeit von Franziskus ist auf den Gekreuzigten gerichtet und zeigt seine tiefe Liebe zum Leiden Christi im Ausdruck stummen Gebetes und ewiger Verbundenheit; das ist die leuchtendste Stelle des Bildes. Nur das Engelchen, welches das schwere Buch in der Hand des Heiligen stützt, schaut direkt auf uns.

Wichtig im Bild sind auch die in die Leinwand eingewebten lateinischen Texte. Zwei in blaue und rote Umhänge gehüllte Engel halten ein Band mit der Inschrift: TRES ORDINES HIC ORDINAT – Gründer dreier Orden. Auf der Titelseite des Buches in der Hand des hl. Franziskus gibt es eine längere Inschrift: Regel der Minderen Brüder: Bruder Franziskus gelobt Gott, dem Papst und der römischen Kirche Gehorsam und Verehrung. Kap. 1. Die Inschrift auf der schwer beschädigten Kartusche war stellenweise nicht zu entziffern. 1992 rekonstruierte sie Mindaugas Strockis: „Wahres Abbild des seraphischen Bruders Franziskus mit dem Habit von der Art, die er auf alle Zeit für den Franziskaner-Orden festlegte, ausgeführt so wie es im Vatikan durch die Autorität des Herrn Papstes Benedikt bestätigt wurde.“ Dieser Text bestätigt uns, dass das Bild auf dem Altar des hl. Franziskus von Assisi im Konvent von Kaunas bezeichnet wurde als Wahres Abbild dieses Heiligen.

Das Schutzengelbild


Andreas Romanowski. Bild des Hl. Schutzengels (Angelus Custos). Um 1680. Photo Rima Valinčienė-Varnė

Im Archiv des Konvents von Kaunas wird schon 1617 die Zunft der Schifferleute erwähnt, die in der St. Georgskirche ihren Patronatsaltar des hl. Schutzengels hatte. Weder der Altar noch das Bild sind erhalten geblieben.

Es ist vorstellbar, dass nach dem Brand vom 1668, entsprechend der Tradition, die in der Kirche entstanden war, ein Teil der Altäre neu wiedererrichet wurden an ihrem früheren Platz und unter denselben Patronatsnamen. Höchstwahrscheinlich ist auch der neue Altar des hl. Schutzengels 1680 an seinem früheren Platz wiedererrichtet worden. Nicht allein dieser Altar ist erhalten (wenn auch schwer beschädigt), sondern auch das auf eine Holztafel gemalte Altarbild ANGELVS. CUSTOS., (welches bis heute nicht restauriert ist). Das Bild ist unten rechts mit Sorgfalt signiert: Pinxit. Andreas Romanowski.
Charakteristisch für die Ikonografie des hl. Schutzengels ist die Geste einer nach oben deutenden Hand, nicht selten zeigt sie auf die heiligste Dreifaltigkeit. Diese Geste vor allem bezeugt die Bedeutung des Geheimnisses der heiligsten Dreifaltigkeit. Der Engel wird fast immer im Vollbild gezeigt, meistens mit der von ihm beschützten Seele an der Seite. Er ist gleichsam Mittler zwischen Gott und Mensch.

Das Bild in der Bernardinerkirche ist gestaltet nach demselben Schema. Nicht nur ist die Gestalt des Schutzengels präzise gemalt (sein Haupt umhüllt ein Heiligenschein, Kleidung und Schuhwerk spiegeln die Mode der Renaissance) mit dem an ihn geschmiegten Kind (dessen Hände in Gebetshaltung gefaltet sind), sondern auch die winzige Komposition der heiligsten Dreifaltigkeit hoch am Himmel, auf die der Schutzengel zeigt. Wichtig ist auch das Fragment der Stadt unten im Bild. Darin erkennen wir die Ansicht von Kaunas am Ende des 17. Jahrhunderts. Es ist das älteste bekannte Panorama dieser Stadt, eine Ansicht von Norden, also vom Fluss Neris her; es ist sehr wertvoll, wenn die Entwicklung der Ikonografie von Kaunas untersucht wird. Ausserdem sehen wir eine Episode aus dem Leben der Schifferleute von Kaunas: der Wind treibt Segelschiffe übers Wasser und eines davon steuert der Schutzengel selbst – genau so einer, wie auf unserem Bild, nur um vieles kleiner.

Das vielseitige Wirken der Franziskaner Minderbrüder, welches am Ende des 15. Jahrhunderts begann und mehr als einmal brutal unterdrückt wurde, hat ein einzigartiges Erbe sakraler Kunst hinterlassen. In ihr rechtmässiges Haus zurückgekehrt, werden die Franziskaner neu beleben, was versehrt wurde, und so die Arbeit früherer Generationen fortführen.

Laima Šinkūnaitė

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